Editorial „Soziale Fortschrëtt“: Tripartite im Herbst bei drastisch veränderter Lage

Am 25. August fand im Rahmen eines bilateralen Treffens zwischen der Regierung und den Gewerkschaften ein konstruktiver Austausch zur Vorbereitung der nächsten Tripartite statt. Die Vorschläge, die der LCGB, in Absprache mit den anderen repräsentativen Gewerkschaften, formuliert hatte, wurden angenommen. Die Regierung und die Gewerkschaften haben sich darauf geeinigt, eine detaillierte Bestandsaufnahme mit regelmäßigen Besprechungsterminen durchzuführen und sich die nötige Zeit zu nehmen, um die von den Sozialpartnern geforderten Daten zu analysieren.

Dieses Treffen ist die logische Folge des Ende März unterzeichneten Tripartite-Abkommens, das vorsieht, dass die Tripartite erneut zusammentreten muss, falls sich die Lage weiter verschlechtert bzw. eine neue Indextranche ansteht. Da die nächste Indextranche nach den jüngsten Prognosen des Statec noch vor Ende dieses Jahres fallen wird, muss nun die nationale Tripartite erneut zusammenkommen. Zur Erinnerung: Für den LCGB war das Ende März abgeschlossene Tripartite-Abkommen das bestmögliche Abkommen in Anbetracht der damaligen Situation. Die für April vorgesehene Indextranche wurde ausgezahlt, die für Juli vorgesehene Tranche wurde auf April nächsten Jahres verschoben, wobei zum allerersten Mal eine finanzielle Überkompensation für Gering- und Niedrigverdiener vorgesehen war. Auch andere Hilfen wurden durch diese Vereinbarung umgesetzt.

Die Situation Ende August ist tatsächlich eine ganz andere als im Frühjahr. Entgegen den damaligen Prognosen ist heute klar, dass die Inflation sowohl in diesem als auch im nächsten Jahr sehr hoch bleiben wird.

Die Tripartite wird daher ein Abkommen finden müssen, das dieser neuen Situation angepasst ist. Der LCGB stützt sich bei diesen Verhandlungen auf zwei sich ergänzende Prioritäten. Die erste ist die Verteidigung und Stärkung der Kaufkraft der Arbeitnehmer und der Rentner. In Anbetracht der steigenden Gas-, Treibstoff- oder Strompreise muss klar sein, dass die Tripartite-Verhandlungen über eine reine Indexdiskussion hinausgehen müssen. Ohne den Verhandlungen vorgreifen zu wollen, ist es für den LCGB klar, dass unser Indexsystem beibehalten werden muss. Es ist auch völlig klar, dass wir angesichts dieser Krise die Kaufkraft für den wachsenden Teil der Arbeitnehmer und Rentner, der kaum noch über die Runden kommen, stärken müssen.

Die zweite Priorität des LCGB ist die Existenzsicherung der Arbeitnehmer, denn es ist auch klar, dass die steigenden Energiepreise schwere Auswirkungen auf die Arbeitsplätze haben werden. Viele Unternehmen benötigen einen hohen Energiebedarf, um ihre Produktion oder ihren Betrieb aufrechterhalten zu können. In diesem Zusammenhang müssen geeignete Lösungen gefunden werden, um die Arbeitsplätze zu erhalten. Man darf nicht vergessen, dass diese Arbeitsplätze von Arbeitnehmern besetzt sind, die diese benötigen, um ihre Familien zu ernähren.

Das zu schnürende Tripartite-Abkommen muss also sowohl den Arbeitnehmern helfen als auch Arbeitsplätze sichern. Die Kriegssituation darf nicht zu einer sozialen Krise führen, mit einer Welle an Arbeitslosigkeit und Kaufkraftverlust als Folge. Wir dürfen nicht vergessen, dass es uns während der Gesundheitskrise gelungen ist, durch Kurzarbeit Arbeitsplätze zu erhalten, obwohl dies Auswirkungen auf die finanzielle Situation der Arbeitnehmer hatte.

Schließlich müssen wir uns alle bewusst sein, dass der russische Überfall auf die Ukraine eine Volatilität der Situation mit sich bringt, die wir in früheren Krisen nicht erlebt haben. Die Unsicherheiten sind groß.

Was heute richtig ist, kann morgen aufgrund der Kriegsentwicklung völlig falsch sein.

Nicht nur diese Tripartite-Verhandlungen, sondern wir alle, die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, die Arbeitnehmer sowie alle Akteure unserer Gesellschaft werden sich der Situation anpassen müssen, mit der wir konfrontiert sind und die sich weiter wandeln und tiefgreifend entwickeln kann.

Im Vorfeld der Tripartite-Verhandlungen werden sich die drei Gewerkschaften vor Beginn der verschiedenen Sitzungen absprechen. Der LCGB ist gewillt, die Tripartite mit einer geeinten Gewerkschaftsfront anzugehen. Die Gewerkschaften haben ein großes Interesse daran, gemeinsam eine Einigung zu erzielen. Das Ausmaß dieser Krise zwingt uns dazu und wir wissen nicht, wie der Ausgang des Krieges sein wird und wie er sich auf unsere sozioökonomische Situation auswirken wird.

Abgesehen von diesen Überlegungen müssen auch die politischen Entscheidungsträger die Konsequenzen aus der aktuellen Krise ziehen. Infolge der Stahlkrise in den 1970er Jahren wurde die luxemburgische Wirtschaft tiefgreifend umstrukturiert. Die Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 führte zu Entscheidungen und Maßnahmen zur Sanierung des Finanzsystems. Die Gesundheitskrise sowie die aktuelle Krise, die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöst wurde, haben die zu starke Abhängigkeit Europas von Drittländern aufgezeigt. Eine weitere starke Abhängigkeit bei der Versorgung mit Medikamenten, Gas oder Treibstoff, und dies vor allem von autoritären Staaten, die unsere Werte in keiner Weise teilen, ist völlig inakzeptabel.

Der LCGB fordert, dass sich die luxemburgische Regierung auf europäischer Ebene dafür einsetzt, unseren Kontinent strategisch unabhängiger zu machen.

Die Europäische Union muss die richtigen Schlüsse aus dieser doppelten Krise ziehen und vorrangig mit Ländern zusammenarbeiten, die unsere demokratischen Werte respektieren. Für den Fall, dass autoritäre Staaten weiterhin unumgänglich sind, wie insbesondere im Bereich der fossilen Energie, ist es wichtig, nicht alle Eier in einen Korb zu legen. Es war ein großer Fehler, sich so abhängig von Russland und somit erpressbar zu machen. Dies stellt eine große Bedrohung unsere Demokratien dar. Ein solches Szenario sollte so schnell wie möglich abgewendet werden.

 

Der LCGB hällt seine Mitglieder weiterhin über die Tripartite-Verhandlungen am Laufenden.

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