Interview – Berufskrankheiten

Der Soziale Fortschrëtt sprach mit einer Arbeitnehmerin, die in der Pflege, genauer gesagt in einem Altenheim, tätig ist. Die Erfahrungen von Isabelle (Name von der Redaktion geändert) geben einen Eindruck ihrer Arbeit während der Pandemie und zeigen eine engagierte Arbeitnehmerin, die sich mit dem Coronavirus bei der Arbeit angesteckt hat, ohne zu wissen, dass dies als Berufskrankheit deklariert werden kann.

 

SF: Wie haben Sie sich vor der Pandemie bei der Arbeit gefühlt?

Isabelle: Ich muss sagen, dass ich meine Arbeit immer gerne gemacht habe und mache. Ich bin auch ein Mensch, der immer zur Stelle ist, egal in welcher Situation. In unserer Branche herrscht Personalmangel, das merken wir auch, aber ansonsten habe ich mich immer wohl gefühlt.

SF: Mit COVID-19 hat sich das sicherlich geändert?

Isabelle: Nicht so sehr während des ersten Lockdowns. Die tägliche Arbeitszeit wurde auf 10 Stunden erhöht und wir haben mehr in kleinen Gruppen gearbeitet. Also immer das gleiche Team vor Ort, das gleiche Team im Urlaub. Damals haben wir den Personalmangel nicht wirklich bemerkt, denn seltsamerweise war es eine Zeit mit sehr geringem Krankenstand. Aber nach dem 1. Lockdown fehlten dann viele Leute, weil diese in dieser Zeit keinen Urlaub nehmen konnten und alles auf den Sommer verschoben wurde. Statt 4 Personen hatten wir dann 7 Personen im Urlaub. Und da haben wir es dann gespürt. Und dann später, mit dem Beginn des Schuljahres, waren viele Leute in Quarantäne…

SF: Würden Sie sagen, dass sich Ihre Arbeitsbedingungen verändert haben?

Isabelle: Nein, ich sehe keine Veränderung, jedenfalls nicht dort, wo ich arbeite.

SF: Wurde die Arbeit mit dementen Personen nicht schwieriger?

Isabelle: Die Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten, war schwierig. Uns wurde gesagt, dass wir die Bewohner in Zweiergruppen betreuen sollen. Am Anfang hat das noch halbwegs funktioniert. Aber mit dem ersten COVID-19 Fall ging das nicht mehr. Ab da folgte ein Domino-Effekt, einer nach dem anderen. Wir mussten sogar für 6 oder 8 Wochen komplett zu machen, wegen der vielen positiven Fälle, auch von Mitarbeitern. Ich selbst war ebenfalls positiv. Und wieder einmal hatten wir einen großen Personalmangel, aber wir bekamen viel Unterstützung von der Geschäftsleitung. Sie schauten auch auf den anderen Stockwerken, wie viele Mitarbeiter noch zur Verfügung stehen. Als Krankenpfleger haben wir alles getan, damit es den Bewohnern besser geht, aber auch, damit sich das Personal wohlfühlt. All die Wochen in Schutzmontur zu arbeiten… das war auf jeden Fall sehr hart, ja.

SF: Wie haben die Bewohner der Einrichtung diese Zeit erlebt?

Isabelle: Da wir 10 Stunden am Tag für 4, 5 manchmal sogar 6 Tage in der Woche arbeiteten, wurden wir zu einer großen Familie. Während des ersten Lockdowns haben wir unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln alle gemeinsam mit den Bewohnern gegessen und in Kleingruppen auf den einzelnen Stockwerken Aktivitäten durchgeführt. Im Nachhinein gesehen war es schon manchmal schwierig. In der Osterzeit während des ersten Lockdowns haben wir unser Bestes getan, um eine schöne Feier zu haben und haben den Bewohnern etwas mitgebracht.

SF: Sie hatten COVID-19. Wissen Sie, wo Sie sich infiziert haben?

Isabelle: Bei der Arbeit, obwohl ich sowohl beruflich als auch privat alle Vorkehrungen getroffen habe. Ich wurde alle zwei Wochen getestet und außer zur Arbeit, Kita und zum Einkaufen ging ich gar nicht mehr raus.

SF: Hatte dies Auswirkungen auf Ihr Befinden bei der Arbeit?

Isabelle: Als ich die SMS bekam, dass ich positiv sei, war ich extrem aufgewühlt. Ich hatte es irgendwie kommen sehen, ich habe die Leute sogar davor gewarnt. Aber mir wurde immer gesagt „nein, da ist schon nichts“. Als der erste Heimbewohner positiv getestet wurde, dachte ich mir „ok, wenn dieser Bewohner positiv ist und ich 4 Tage bei ihm war…“, zwar mit einer OP-Maske, aber für mich war es klar. Das ganze Team wurde zwar getestet, aber ich wusste, dass mein Test positiv sein wird. Und leider habe ich mich nicht geirrt.

SF: Hat es die Art und Weise verändert, wie Sie sich um die Bewohner kümmern?

Isabelle: Nein, nein, das hatte keine Auswirkung.

SF: Als Sie erfuhren, dass Sie sich bei der Arbeit mit COVID-19 infiziert haben, haben Sie daran gedacht, die Krankheit als Berufskrankheit deklarieren zu lassen?

Isabelle: Nein, ich wusste nicht, dass ich das tun kann.

SF: Leider sind sich viele Arbeitnehmer dessen nicht bewusst…

Isabelle: Ja, ich habe Kollegen, die immer noch Nachwirkungen haben und die wegen COVID-19 noch immer öfters krank sind. Es gibt viele Menschen, die das nicht wissen.

SF: Hatte die Tatsache, dass Sie COVID-19 hatten und dass Sie sich bei der Arbeit angesteckt haben, psychologische Folgen für Sie?

Isabelle: Oh ja. Am schwierigsten daran positiv zu sein, waren die Gedanken, die man sich macht. Ich habe mir keine Sorgen um mich selbst gemacht, weil ich ja wusste, wie ich mich fühle. Aber es war furchtbar zu warten, bis meine Tochter den Test machen konnte. Es waren die längsten sechs Tage meines Lebens. Und dann waren da ja auch noch die Bewohner, bei denen ich war. Glücklicherweise habe ich ein gutes Gedächtnis. Ich habe meinem Chef einen umfassenden Bericht über die letzte Arbeitswoche gemacht. Ich habe genau beschrieben, was ich gemacht habe, von morgens bis nachmittags und wie ich gearbeitet habe. Auf ihre Frage, nach den psychologischen Folgen, ja die Bewohner – habe ich es an jemand weitergegeben – und meine Kollegen – ich hätte es auch an jemand anderen weitergeben können. Und wenn ich es jemandem weitergegeben habe, welche Auswirkungen wird dies auf die andere Person haben? Diese psychologische Seite ist sehr, sehr schwer.

SF: Sind Sie geimpft?

Isabelle: Ja.

SF: Hatten Sie irgendwelche Bedenken?

Isabelle: Ich war eine der ersten, die gesagt hat, dass ich das machen will. Ich habe immer gesagt, dass sobald es da ist, ich es machen werde. Ich war in der Situation, ich habe acht Wochen lang durchgearbeitet, es ist etwas, das ich nicht noch einmal in meinem Leben durchmachen möchte, also sobald der Impfstoff da ist, mache ich es. Am Ende war ich die Letzte, die geimpft wurde, alle anderen bekamen vor mir eine Einladung, sie wurden alle vor mir geimpft. Ich sagte mir: „Das ist nicht möglich, ich wollte es machen, und jetzt bin ich die Letzte in der Reihe“. Nein, die Frage stellte sich gar nicht erst für mich.

SF: Haben Sie noch eine letzte Botschaft?

Isabelle: Abgesehen von den Hygiene- und Abstandsregeln müssen die Menschen unbedingt mehr motiviert werden, sich impfen zu lassen, denn es stimmt, dass der Prozentsatz beim Pflegepersonal nicht sehr hoch ist. Wir müssen uns an die Regeln, an die Abstandsregeln halten. Viele Menschen wissen nicht, was COVID-19 bedeutet, wenn sie nicht einen engen Freund oder ein Familienmitglied haben, das COVID-19 hatte oder wenn sie nicht bei der Arbeit mit COVID-19 konfrontiert sind. Viele denken immer noch, dass es etwas ist, das man auf die leichte Schulter nehmen kann, obwohl es überhaupt nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollte. Ich habe Patienten gesehen, die sich innerhalb von anderthalb Stunden verschlechtert haben.

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