Editorial „Soziale Fortschrëtt“: Der 5. Juni

Dieser Leitartikel wurde am 5. Juni 2024 verfasst. Als ich mich an meinen Computer setzte, schaute ich reflexartig in meinen Kalender und mir kam die Besonderheit dieses Datums, der 5. Juni, in den Sinn.

Vor 80 Jahren, am 5. Juni 1944, bereiteten sich tausende alliierte Soldaten auf den schicksalhaften 6. Juni 1944 vor, das Datum der Landung in der Normandie, die Europa vom nationalsozialistischen Joch befreite und dem Leiden der unter Besatzung stehenden Bevölkerung, dem schlimmsten Völkermord der Menschheitsgeschichte und dem Zweiten Weltkrieg in Europa ein Ende setzte. Es gibt keine Worte, um den Schrecken und die Grausamkeit zu beschreiben, die das Bild des geschundenen Europas für immer geprägt haben.

Der 6. Juni öffnete die Tür zu Freiheit und Demokratie für einen Teil der Länder Europas, ohne dabei die Länder zu vergessen, die unter einer neuen Besatzung standen, die etwa 45 Jahre dauerte, bevor auch sie Freiheit und Demokratie fanden.

An einem weiteren 5. Juni, dem 5. Juni 2024, bereiten sich die Bürger der Europäischen Union (EU) auf den Gang zur Wahlurne vor, um vom 6. bis 9. Juni 2024 in allen Mitgliedstaaten die Abgeordneten des Europäischen Parlaments zu wählen.

Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass die Leiden und Opfer der Generation, die Europa befreite und anschließend die Länder aus der Asche des Krieges wieder aufbaute, nicht umsonst gewesen sind.

Der Mut, die Hoffnung und der Optimismus dieser Generation haben auch den Aufbau Europas ermöglicht, das 80 Jahre nach der erlittenen Katastrophe mit 27 vereinten europäischen Ländern, die ein gemeinsames Parlament wählen, ein großartiges Gegenstück darstellt.

Aber es gibt einen Schatten, der über dem europäischen Projekt liegt. Die wachsende Bedrohung durch rechtsextreme Parteien in der EU, die unter dem Vorwand, sich um die Bedürfnisse der Bürger zu kümmern, den Nationalismus und die Spaltung wieder aufleben lassen.

Diese bösen Kräfte, denen es gelungen ist, selbst in verschiedenen EU-Ländern autokratische Regime zu errichten, stellen eine direkte Bedrohung nicht nur für die demokratischen Werte, sondern auch für die Gewerkschaften, die sozialen Rechte und die Tarifverhandlungen dar.

Die im Europäischen Gewerkschaftsbund zusammengeschlossenen Gewerkschaften haben zahlreiche Appelle an die Bürger und Arbeitnehmer gerichtet, um die Wähler für dieses Thema zu sensibilisieren.

Auch die luxemburgischen Gewerkschaften haben die aktiven und pensionierten Arbeitnehmer in Luxemburg aufgerufen, zur Wahl zu gehen und für Kandidaten zu stimmen, die sich klar für eine starke europäische Sozialpolitik und für den Schutz und die Stärkung der sozialen Rechte einsetzen. Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Ausgabe des Soziale Fortschrëtt werden wir bereits mehr wissen, ob der Aufruf der Gewerkschaften für ein starkes Europa Früchte getragen hat.

Das Engagement des LCGB für Europa ist mittlerweile Teil unserer „gewerkschaftlichen DNA“. Wir fordern eine starke europäische Sozialpolitik sowie den Schutz und die Stärkung der sozialen Rechte von Arbeitnehmern und Rentnern.

Unser Tripartite-Modell hat es ermöglicht, unser Sozialmodell zu entwickeln und zu stärken, vor allem in Krisenzeiten. Alle „Errungenschaften“, über die wir heute verfügen, sind das Ergebnis des gewerkschaftlichen Engagements und der Kompromisse, die von den Tripartite-Partnern ausgehandelt und festgelegt werden konnten.

Dazu gehören Sozialleistungen, Kindergeld, Kranken- und Mutterschaftsversicherung, Rentenversicherung, der soziale Mindestlohn, verschiedene Steuergutschriften, unser Index und die Kollektivverträge, um nur die Wichtigsten zu nennen.

Unser auf Kompromissen basierendes Sozialmodell konnte den sozialen Frieden sichern und hat auch die demokratische Basis unseres Landes gestärkt.

Leider ist dieser Weg alles andere als unumstritten und viel zu viele Länder haben ihr Heil in einer Haushaltspolitik gesucht, die zu einer Sparpolitik auf Kosten der Arbeitnehmer und Rentner führt.

Gerade diese Politik ist zu einem sehr großen Teil für den Aufstieg der extremen Rechten in der EU verantwortlich und bedroht heute die Demokratie und den Frieden auf unserem Kontinent.

Im Grunde war also der Aufruf des einen oder anderen vor den Europawahlen nicht umsonst, sondern ein Ausdruck der staatsbürgerlichen Verantwortung, die jede demokratische Organisation angesichts der aktuellen Krise empfinden muss.

Leider könnte dieser Appell vergeblich sein, wenn die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger den Ernst der Lage noch immer nicht erkennen.

Demokratie und Frieden, unsere Freiheit, haben ihren Preis.

Hier geht es um die dauerhafte Erkenntnis, dass es die Verantwortung und Pflicht der Entscheidungsträger ist, sich auf allen Ebenen zu engagieren:

  • für eine Politik, die die Rechte der Arbeitnehmer achtet und auf Vollbeschäftigung und die Schaffung von hochwertigen Arbeitsplätzen abzielt;
  • damit die notwendige Transformation zur Vermeidung von Umweltkatastrophen auf sozial gerechte Weise erfolgt;
  • damit der laufende digitale Wandel ebenfalls auf sozial gerechte Weise erfolgt;
  • für die Achtung der politischen und sozialen Demokratie und der Werte, die zu ihr gehören;
  • für die Achtung der Rolle der Gewerkschaften und der Tarifverhandlungen im Sozialdialog in den Unternehmen, auf der Ebene der Wirtschaftsbereiche, auf nationaler und auf europäischer Ebene.

Dagegen können Gier und Habsucht zu nichts führen, außer zu einer neuen Katastrophe entsprechend dem, was eine Generation in den Tagen nach dem 5. Juni 1944 erleben musste.

Patrick DURY
Nationalpräsident des LCGB

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