Über ein Jahr später als ursprünglich angekündigt, fand am 13. Dezember 2021 die zweite Sitzung des Koordinationskomitees der Tripartite seit Beginn der sanitären Krise statt. Gerade die national repräsentativen Gewerkschaften CGFP, LCGB und OGBL hatten lange darauf gedrängt, dass eine neuerliche Tripartiterunde nötig sei, um im Dialog zwischen Sozialpartnern die Gestaltung eines nachhaltigen Ausweges aus der Covid-19-Pandemie und der wesentlichen Herausforderungen der nächsten Jahre, des digitalen und ökologischen Wandels vorzubereiten und das luxemburgische Sozialmodell langfristig abzusichern.
Die Gewerkschaften hatten im Vorfeld der für den 13. Dezember 2021 anberaumten Sitzung den späten Zeitpunkt angemahnt – drei Tage vor der Abstimmung des Haushalts 2022 in der Abgeordnetenkammer konnte ja nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Gespräche in der Tripartite noch irgendeinen Einfluss auf die Haushaltsorientierung 2022 haben würden – und weitere Tagesordnungspunkte vorgeschlagen, die allesamt vom Premierminister abgelehnt wurden.
Da Arbeitsminister Dan Kersch im Vorfeld der Tripartite angekündigt hatte, es ginge bei dieser Sitzung in erster Linie darum den Sozialpartnern zuzuhören, konnte man jedoch davon ausgehen, dass es sich lediglich um eine erste Sitzung handeln sollte und die verschiedenen Maßnahmen in Folgesitzungen der Tripartite ausgehandelt werden sollen. Dies war jedoch nicht der Fall. Es stellt sich immer mehr heraus, dass die derzeitige Regierung eine Tripartite nicht als einen Prozess, sondern als ein Event behandelt.
Die Methode war erneut dieselbe wie im Juli 2020. Nach ausführlichen Darstellungen der wirtschaftlichen und sozialen Lage durch verschiedene Ressortminister, bei denen nicht einmal Rückfragen möglich waren, kamen die Gewerkschaften und die Vertreter der Unternehmen zu Wort. Aus den verschiedenen Vorschlägen beider Seiten wählten sich dann die anwesenden Minister eine Handvoll Maßnahmen heraus, die dann der Presse als Resultat der Tripartite vorgegaukelt wurden. Von der oft wochenlangen Aushandlung nationaler Tripartiteabkommen wie in der Vorgambiazeit sind wir in der Tat meilenweit entfernt.
Die national repräsentativen Gewerkschaften müssen also feststellen, dass die Regierung nicht in der Lage ist, den notwendigen Rahmen für einen starken nationalen sozialen Dialog zu schaffen. Natürlich sind eine Verlängerung der außerordentlichen Kurzarbeit und der Beihilfen an die Betriebe zu begrüßen, ebenso dass das Abkommen zwischen den Gewerkschaften und dem Arbeitsminister, dass im Fall der Kurzarbeit der betroffene Arbeitnehmer zumindest den Mindestlohn verdient, verlängert wird. Allerdings riskiert diese Maßnahme noch unzureichend zu sein, da die Pandemie wohl kaum Ende Februar hinter uns liegen wird. Und natürlich sind die Verbesserungen bei der Einstellung von Flüchtlingen und für die Ehepartner von Expats auch zu begrüßen.
Insgesamt ist dies aber, gegenüber den gegenwärtigen Herausforderungen, doch ein sehr dürftiges Paket. Es ist unverständlich, dass die Regierungsvertreter ganz offenkundig der Meinung sind, es gebe in Luxemburg kein Problem mit der Kaufkraft. Dies ist nicht nur eine Diskrepanz bei der Interpretation der Zahlen – die Analyse der Regierung, die sich ausschließlich auf einen globalen inflationsbereinigten Mittelwert bezieht, demzufolge die Kaufkraft in der Pandemie „stabil“ geblieben wäre, liegen ganz offensichtlich in Widerspruch zu der Lebenswirklichkeit von breiten Teilen der Bevölkerung.
Die steigenden Energiepreise, die explodierenden Wohnkosten, die Inflation bei den Lebensmittelkosten – all dies stellt für die Regierung offenkundig kein Problem dar. Ausgehend von ihrer Feststellung, dass die Kaufkraft seit Beginn der Pandemie stark gelitten hat, stellten die Gewerkschaften eine Reihe von Forderungen zur Stärkung der Kaufkraft. Die geforderten Anpassungen betrafen vor allem Familienleistungen, selektive Steuermaßnahmen und Sofortmaßnahmen im Wohnungswesen. Diese Forderungen wurden mit den Auswirkungen der Wohnungskrise auf die Haushalte, der steigenden Armutsquote von Alleinerziehenden und kinderreichen Familien sowie dem im Vergleich zur Armutsgrenze immer noch zu niedrigen sozialen Mindestlohn begründet.
Die angekündigten Maßnahmen wie kostenlose Schulkantinen oder die Erhöhung der Teuerungszulage um 200 € wurden angesichts des aktuellen Drucks auf die Kaufkraft als unzureichend erachtet. Wobei die Gewerkschaften auch daran erinnert haben, dass die Grenzgänger, deren Wichtigkeit für die luxemburgische Wirtschaft und das luxemburgische Sozialwesen in der Pandemie aufs Eindrücklichste bewiesen wurde, nicht von den neuen Sachleistungen profitieren. Das ist aber offenbar für die Regierung kein Problem, sondern Programm.
Die Reaktion der Regierung auf die Argumente und Forderungen der Gewerkschaften war von einer Überheblichkeit ohnegleichen geprägt. Laut dem Premierminister hätten die meisten der von den Gewerkschaften angesprochenen Probleme keinen Platz in der Tripartite. Insbesondere Maßnahmen bezüglich Wohnen und Klima seien außerhalb der Tripartite mit den jeweiligen Ressortministern zu diskutieren. Die Tripartite sei ausschließlich als ein Kriseninstrument zu sehen, und kein „Diskussionssalon“, wie der Premierminister auf einer – übrigens in keiner Weise mit den Sozialpartnern abgesprochenen – Pressekonferenz im Anschluss an die Tripartite unterstrich. Als ob es nicht gerade in den Bereichen Wohnen und Klima eine offensichtliche Krisensituation gibt!
Auch unterstrich der Premierminister, der Zustand der öffentlichen Finanzen erlaube keine weiteren gezielten Maßnahmen zur Stärkung der Kaufkraft, obwohl diese zuvor als die solidesten in ganz Europa dargestellt wurden. Unverschämt war auch die Forderung des Premierministers, dass der Haushaltsimpakt der verschiedenen Vorschläge von den Gewerkschaften im Detail aufzustellen sei. Wie viele diesbezügliche Anfragen der Gewerkschaften an die Politik sind in der Vergangenheit unbeantwortet geblieben?
Aus all dem ergibt sich, dass der einzige wirkliche Fortschritt des Treffens die klare Absage der Regierung an die neuerlichen Versuche der Patronatsseite war, den Index infrage zu stellen. Es ist klar, dass dies aus gewerkschaftlicher Sicht nicht zufriedenstellend sein kann.
Die Gewerkschaften werden jedenfalls weiter für eine Stärkung der Kaufkraft und für eine Bekämpfung der wachsenden Ungleichheiten eintreten.
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