Editorial „Soziale Fortschrëtt“: Ein Anstieg, der vermeidbar war!

Im Juli 2021 schien das Ende der Gesundheitskrise in greifbarer Nähe. Die Impfkampagne kam gut voran, die Zahl der Infektionen ging zurück und – was am wichtigsten ist – die Zahl der Krankenhauseinweisungen war verschwindend gering.

Ganz anders die Situation im November 2021. Eine vierte Infektionswelle ist in vollem Gange, und die täglichen Infektionszahlen erreichen Rekordwerte.

Während rund 70 % der Bevölkerung durch eine Impfung wirksam geschützt sind, richtet das Virus bei dem Drittel der Bevölkerung, das noch nicht geimpft ist, verheerende Schäden an.

Die Zahl der Krankenhauseinweisungen nimmt stetig zu. Die Botschaft der Verantwortlichen der verschiedenen Krankenhausstrukturen ist klar: In Kürze werden sich die Krankenhäuser im „akuten Krisenmodus“ befinden und „normale“ Behandlungen müssen eingeschränkt werden, um sich auf Notfälle und die Behandlung der COVID-19-Patienten zu konzentrieren.

Das menschliche Leid dieser Welle ist schwer vorhersehbar. Wie viele Menschen werden noch sterben oder von „Long Covid“ betroffen sein? Wie viele Patienten werden durch eine verzögerte Behandlung gefährdet?

Der Hauptgrund für diese vierte Welle ist unumstritten. Seit Mitte Juli sinkt die Zahl der Impfungen deutlich. Eine Impfquote von 80 bis 85 %, die für die Eindämmung des Virus unerlässlich ist, kann so bei weitem nicht erreicht werden. Seit Beginn der Impfkampagne hat die Regierung bei ihrer Impfstrategie auf die individuelle Entscheidung und die Grundfreiheiten verwiesen. Dabei berief sich die Regierung auf die Ethikkommission und wiederholte diese Aussage während der gesamten Kampagne.

Es ist offensichtlich, dass unsere Gesellschaft derzeit gespalten ist, dass es eine Kluft gibt zwischen denjenigen, die sich aus naheliegenden Gründen für eine Impfung entschieden haben, und denjenigen, die eine Impfung ablehnen, oft aus nachvollziehbaren Gründen und manchmal aufgrund von „Fake News“ von Betrügern und Verschwörungstheoretikern aller Art.

Die Regierung, die für den Schutz und die Wahrung der Gesundheit der Bevölkerung verantwortlich ist, hat diese gesellschaftliche Entwicklung allerdings ignoriert.

Heute muss man sich die Frage stellen, warum die Regierung ihren Diskurs nicht an die immer weiter sinkende Zahl der Impfungen angepasst hat?

Warum hat die Regierung es nicht für angebracht gehalten, der Bevölkerung zu vermitteln, dass die Grundfreiheiten nicht dem Selbstzweck dienen, sondern auf der Verantwortung jedes Einzelnen beruhen, diese Freiheiten überlegt und uneigennützig zu handhaben sowie Solidarität zu demonstrieren, die für das Funktionieren jeder Gesellschaft notwendig ist?

Man hat eher den Eindruck, dass die Regierung am Ende des Sommers erwacht ist und nicht in der Lage war, strukturiert und gemeinsam mit den verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren auf die Situation zu reagieren.

Mitte Oktober beschloss die Regierung, den CovidCheck als freiwillige Maßnahme zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz in Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen ab dem 1. November einzuführen.

Die Gesundheitsministerin begründete diese Entscheidung damit, dass „man Druck auf die Arbeitnehmer ausüben wolle“.

Dieses Argument ist fast schon lächerlich und zeigt, dass die Regierung nicht in der Lage ist, eine gesellschaftliche Grundsatzdiskussion über den Einsatz von Impfstoffen zu führen, und keine Skrupel hat, den schwarzen Peter an die Arbeitnehmer und Beamte in den Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen weiterzugeben.

Diese Diskussion ist gefährlich, weil sie dem reibungslosen Funktionieren von Unternehmen und Verwaltungen schadet und den sozialen Frieden innerhalb der arbeitenden Bevölkerung gefährdet.

Die Absurdität dieses Ansatzes der Regierung zeigt sich darin, dass die überwiegende Mehrheit der Unternehmen den CovidCheck nicht anwendet oder sich lediglich für eine Einführung in bestimmten Bereichen wie Kantinen oder Sitzungsräumen entschieden hat (wobei in den meisten Fällen alternative Lösungen wie Take-away von Mahlzeiten oder die Teilnahme an Sitzungen per Videokonferenz angeboten werden).

Es liegt daher auf der Hand, dass die Regierung nicht in der Lage zu sein scheint, eine Lösung für eine definitive Bewältigung der Gesundheitskrise zu finden. Die Impfung schreitet nur sehr langsam voran. Die Infektionen nehmen wieder zu, mit gefährlichen Folgen für die Gesundheit der Betroffenen und die Existenz der Arbeitnehmer in Unternehmen, die mit den wirtschaftlichen Folgen der Gesundheitskrise konfrontiert sind.

Der CovidCheck in Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen hätte im Rahmen einer Tripartite vorbereitet werden müssen, um optimale Lösungen für die Organisation und Durchführung der Überprüfung von Zertifikaten und Tests zu finden. Gleichzeitig hätte ein solcher Ansatz es ermöglicht, gemeinsam die richtigen Antworten auf die Fragen von Arbeitnehmern, die noch unentschlossen hinsichtlich einer Impfung sind, zu geben.

Die Regierung muss sich darüber im Klaren sein, dass sie eine große Verantwortung für die derzeitige Fehlentwicklung und ihre gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen trägt. Das Pressechaos mit widersprüchlichen Erklärungen von Ministern bzw. ihren Funktionären ist dabei nicht hilfreich. Ganz im Gegenteil.

Nach Redaktionsschluss hat die Regierung die 3G-Pflicht am Arbeitsplatz beschlossen. Die Stellungnahme des LCGB und das Verhandlungsergebnis finden Sie hier.

 

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