An diesem Mittwoch will die Luxemburger Abgeordnetenkammer die äußerst umstrittenen Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada (CETA) sowie mit Singapur verabschieden.
So eine wichtige Abstimmung in Corona-Zeiten abzuhalten, wenn die Protestmöglichkeiten der Zivilgesellschaft massiv eingeschränkt sind, kommt einem demokratischen Skandal gleich. Denn es ist den Parteien durchaus bewusst, dass es in der Gesellschaft eine sehr breite Opposition gegen diese Abkommen gibt! Eigentlich hätte man gehofft, dass gerade nun die Wichtigkeit des Dialoges – des Austauschs zwischen Zivilgesellschaft und gewählten Vertretern*innen – verstärkt wahrgenommen und gefördert wird. Das Gegenteil scheint aber augenscheinlich leider der Fall zu sein.
Noch schlimmer jedoch ist, dass Luxemburg diesem umstrittenen Freihandelsabkommen zu einem Zeitpunkt zustimmen will, zu dem, durch die Corona-Krise, die Anzahl der Menschen, Organisationen, Wissenschaftler, Forschungsinstitute, Ökonomen …, die gerade diese Form der Liberalisierung und Globalisierung in Frage stellen, erheblich angewachsen ist.
Covid-19 hat doch aufgezeigt, wie verheerend für uns alle die Abhängigkeit von einzelnen Produzenten und Firmen, lange Lieferketten und andere Konsequenzen einer übertriebenen Globalisierung sind! Bewusst wird auch, wie problematisch die Zerstörung von Lebensräumen ist, da sie mit zu derartigen Pandemien beiträgt (siehe Bericht des Weltbiodiversitätsrates u.a.).
Während in den Medien derzeit in besonderem Ausmaß Beiträge zu lesen sind, mit Titeln wie “Relokalisierung statt Globalisierung”, “Globalisierung neu denken”…., wollen die Luxemburger Parlamentarier scheinbar am “business as usual” festhalten und möchten gerade nun Abkommen zustimmen, die die neoliberale Globalisierung vorantreiben. Von Innehalten, dem Aufbau eines neuen gerechteren Welthandels … keine Spur. Dabei haben mehrere europäische Staaten CETA noch nicht verabschiedet, es gibt demnach absolut keinen Handlungsdruck, warum Luxemburg dies gerade jetzt tun müsste!
Zur Erinnerung seien einige der eindringlichen Argumente, die gegen das 1.598 Seiten starke Abkommen CETA sprechen (2.300 Seiten in der Übersetzung, die von der Abgeordnetenkammer ratifiziert werden soll) genannt. Gerade diese Schwächen wurden sogar aufgrund der Corona-Krise noch deutlicher:
- Relokalisierung oder wilde Globalisierung
Dass eine weltweite Kooperation, auch im Handel, sinnvoll ist, ist unbestritten. Aber dass bewusst entschieden werden soll, in welchen Sektoren dies sinnvoll ist und in welchen weniger, steht ebenso fest. Regionale Märkte und Wirtschaftskreisläufe stärken ist die Devise der Zeit: CETA ist das genaue Gegenteil!
- Resiliente Wirtschaft und Gesellschaft schaffen – das Gegenteil von CETA
Benötigt werden widerstandsfähige Gesellschaften und Wirtschaftssysteme, die weniger anfällig von derartigen Pandemien und ähnlichem sind, so die einhellige Schlussfolgerung aus der Corona-Krise. CETA und Singapur sind genau das Gegenteil: Liberalisierung auf Teufel komm raus, d.h. lange Lieferketten, Schaffung von Abhängigkeiten…!
- Rechte von multinationalen Konzernen stehen über jenen von Staaten und Menschen!
Derzeit werden gerade lange Lieferketten, der übermäßige Rationalisierungsdruck, die Abhängigkeit von einzelnen Firmen in verschiedene Sparten… als negative Konsequenzen der Globalisierung gesehen. Genau dies wird durch CETA verstärkt! Multinationale Konzerne können in Zukunft Staaten, die sich für das Allgemeinwohl einsetzen, vor Sondergerichten auf gigantische Entschädigungen in Milliardenhöhe verklagen! Vorschriften von Staaten, die potentielle Gewinne von Firmen in Zukunft schmälern könnten – wie sinnvoll sie auch für die Allgemeinheit sind – werden somit erheblich erschwert. Es wird sogar mit einer Zunahme von Klagen gerechnet, auch gegen Maßnahmen, die im Rahmen zur Verhinderung der Ausbreitung von Covid-19 getroffen wurden. Das spezialisierte Anwaltsmagazin Law360 gab am 8. April 2020 an “Für die Geldgeber von Schiedsgerichtsverfahren und Rechtsstreitigkeiten könnten die letzten Wochen den Beginn eines Booms markieren”.
- Dienstleistungen und Daseinsfürsorge werden liberalisiert!
Während nun jeder darüber spricht, es wäre doch geboten, bestimmte Dienstleistungen wieder verstärkt zu verstaatlichen, sieht CETA das Gegenteil vor! Erfolgte Liberalisierungen dürfen nicht rückgängig gemacht werden, so die eindeutigen Vorgaben von CETA. Und nur die Dienstleistungen, die explizit in CETA aufgeführt werden, müssen nicht liberalisiert werden. D.h. neue zukünftige Dienstleistungen, evtl. auch im medizinischen Bereich, die vielleicht in den nächsten Jahren entstehen, sind liberalisiert, da sie ja nicht auf der heutigen negativen Liste auftauchen können… – eine untragbare Bestimmung!
- Klimaschutz, gängige Normen können in Frage gestellt – die Erstellung neuer Normen wird erschwert!
Es steht z.B. eindeutig fest: schlechte Luftqualität fördert Corona, um nur dieses Beispiel zu nehmen. Trotzdem sieht CETA vor, dass sogenannte “Sonderkommissionen” (Ausschüsse) außerhalb jeder demokratischen Kontrolle Normen revidieren können, also demnach auch “nach unten”. Und wichtig zu wissen: derartige Gremien tagen bereits zwischen der EU und Kanada und arbeiten an Liberalisierungen. Kommt hinzu: neue Gesetze und Normen von einem EU-Mitgliedsstaat sollen in Zukunft mit Kanada abgesprochen werden… ein absoluter Irrsinn!
- Wichtiger denn je: das Vorsorgeprinzip!
Corona zeigt ebenfalls auf, wie wichtig es ist, so weit wie möglich auch den Schutz der Umwelt und des Menschen vorsorglich zu gewährleisten. Also nur dann eine Aktivität, ein Produkt zuzulassen, wenn sie darauf geprüft wurden, ob sie ohne Nachteile für Mensch und Natur sind. Kanada verfährt wie die USA nicht nach diesem Prinzip. In diesen Ländern werden Produkte zugelassen und nachträglich können sie aufgrund von Problemen wieder vom Markt genommen werden. Ein Irrsinn! Das Vorsorgeprinzip wird nicht ausreichend in CETA geschützt!
- Weitere Globalisierung gerade in der Landwirtschaftspolitik!
Corona hat ebenfalls gezeigt, dass es gilt die regionale Landwirtschaft zu fördern, ja die Lebensmittelproduktion ebenfalls unabhängiger vom Weltmarkt zu gestalten. Auch hier macht CETA genau das Gegenteil: dieser Sektor wird sogar weiter liberalisiert! Auf Kosten der mittelständigen, regionalen, kleinräumigen Landwirtschaft, die derzeit so gelobt wird. Und zudem: CETA bedeutet Gentechnik durch die Hintertür. Denn Kanada importiert gentechnisch veränderte Lebensmittel, ohne Kennzeichnungspflicht. Wie soll da ausgeschlossen werden, dass derartige Produkte dann aber weiterhin nach Europa gelangen ohne die in der EU vorgeschriebene Kennzeichnung?
- Rechte der Arbeitnehmer*innen nicht ausreichend geschützt
Derzeit applaudieren Menschen den Akteuren im Gesundheitswesen. Es werden ebenfalls gerade nun auch Dienste von Kassierer*innen, Postzustellern, der Müllabfuhr – allzu häufig wenig gut entlohnter Sparten – applaudiert. CETA aber erschwert erheblich die Verbesserung sozialer Bestimmungen. So könnte z.B. die Einführung eines Mindestlohns Gegenstand von Investitionsschutzklagen werden.
Kommt gerade in den Pandemiezeiten folgendes hinzu: Analysen haben gezeigt, dass CETA Medikamente teurer machen würde, dies da Kanada einen höheren Patentschutz als Europa hat. Ein höherer Patentschutz erhöht die Gewinne der Pharmaunternehmen, verteuert aber die Medikamente. Auch die Frage des “geistigen Eigentums” ist tendenziell im Sinne der Firmen, und nicht der Menschen geregelt. Mehr als 400 zivilgesellschaftliche Gruppen und Einzelpersonen haben die Weltgesundheitsorganisation sogar aufgerufen, die Rechte auf geistiges Eigentum (sprich auch die Rechte des Patentschutzes von Firmen) im Sinne der Allgemeinheit zu regeln.
Die unterzeichnenden Organisationen der Plattformen STOP TTIP & CETA sowie Votum Klima fordern die Luxemburger Parteien auf:
- weder CETA noch das Singapurer Abkommen zu ratifizieren,
- auf allen Ebenen für einen sozialen, ökologischen und demokratischen Welthandel einzutreten
- und eine Überarbeitung bestehender Abkommen auf EU-Ebene einzufordern.
Wenn es denn eines Beweises bedurft hätte, dass die Wirtschaftspolitik, und vor allem die wilde Globalisierung, so nicht weiter gehen dürfen, dann ist dies Covid-19.
Es kann und darf nicht sein, dass gerade Luxemburg noch in Zeiten des “Lockdown” und in Zeiten, in denen immer mehr Akteure ein Innehalten und eine Reflexion über die Wirtschaftsordnung von morgen einfordern, ein Treiber einer übernommenen, schädlichen Politik wäre!
Plattform Stop TTIP & CETA
Action Solidarité Tiers Monde – Aleba – Bio-Lëtzebuerg–Vereenegung fir Bio-Landwirtschaft Lëtzebuerg Asbl – Caritas Luxembourg – Cercle de coopération des ONG de développement – CGFP – Fairtrade Luxembourg – FGFC – FNCTTFEL – Greenpeace Luxembourg – LCGB – Lëtzebuerger Jongbaueren a Jongwënzer Asbl – Mouvement Ecologique a.s.b.l. – natur&ëmwelt a.s.b.l – OGBL – Syprolux – Union luxembourgeoise des consommateurs -Union Syndicale Fédérale
Votum Klima
Votum Klima ist eine Plattform folgender luxemburgischer Nichtregierungs-organisationen:
Aide à l‘Enfance de l‘Inde, Action Solidarité Tiers Monde (ASTM), ATTAC Luxembourg, Bio-Lëtzebuerg, Caritas Luxembourg, Centre for Ecological Learning Luxembourg (CELL), Cercle de Coopération, Conférence Générale de la Jeunesse Luxembourgeoise (CGJL), Eglise Catholique à Luxembourg, etika, Eurosolar Lëtzebuerg, Fairtrade Lëtzebuerg, Frères des Hommes, Greenpeace Luxembourg, Kommission Justitia et Pax, Lëtzebuerger Velos-lnitiativ, Mouvement Ecologique, natur&ëmwelt, Orang Utan Help Lëtzebuerg, Partage.lu, SOS Faim Luxembourg, UNICEF, Vegan Society Luxembourg, VegInfo Luxembourg.
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