Am 8. Oktober 2017 sind die luxemburgischen und nicht-luxemburgischen Wähler eingeladen, die Gemeinderatsmitglieder zu wählen. Letztere ernennen anschließend die Schöffen und den Bürgermeister, welche die Gemeindepolitik, die sie während der Wahlkampagne angekündigt haben, in die Tat umsetzen.
Das Leben in der Gemeinde betrifft alle Menschen, die in ihr wohnen, unabhängig von Herkunft, Staatsangehörigkeit, Alter, Geschlecht, Beruf oder sozialem Status. Deshalb ist es wichtig, dass sämtliche Bevölkerungsschichten vertreten werden und sich vertreten fühlen. Nach wie vor sind jedoch Frauen, Jugendliche und Ausländer hinsichtlich ihrer demographischen Präsenz im Land und ihrem Beitrag zum wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Aufschwung Luxemburgs in den Gemeinderäten unterrepräsentiert.
Die Beteiligung am Gemeindeleben sollte sich nicht auf die alle 6 Jahre stattfindenden Gemeindewahlen beschränken. Damit die Lebensqualität und das Zusammenleben wirklich an Bedeutung gewinnen, sollten alle sich zunehmend am Alltag in ihrer Gemeinde beteiligen, sei es im Gemeinderat, in den Gemeindekommissionen oder in lokalen Vereinen. Bürger sein, bedeutet, eine zahlreiche Beteiligung aller am Leben der Gemeinde auf sämtlichen Ebenen.
Die Beteiligung der Ausländer am Leben in der Gemeinde
Die luxemburgische Gesetzgebung zur Teilnahme von Ausländern an den Gemeindewahlen ist in gewissen Aspekten großzügig, in anderen Dingen hingegen sehr restriktiv. Zwar erlaubt sie allen ausländischen Mitbürgern (ob aus der Europäischen Union oder außerhalb der EU) das aktive und passive Wahlrecht und sogar die Begleitung eines Schöffen- oder Bürgermeisteramtes, aber nur unter der Bedingung, dass der ausländische Mitbürger 5 Jahre im Land wohnhaft war, bevor er sich in die Wählerlisten eintragen darf. Luxemburg ist das einzige Land in der Europäischen Union mit einer solchen Bestimmung. Als 1992 die „Angst des portugiesischen Bürgermeisters von Fiels (Larochette)“ die Einführung einer solchen Ausnahme vom Maastrichter Vertrag noch erklärte, sieht 25 Jahre später die Wirklichkeit leider so aus, dass Ausländer sich nicht gerade auf die Wählerlisten stürzen. Wichtiger ist noch, dass wir festgestellt haben, dass es keine Partikularwahlen in Luxemburg gegeben hat, d.h. dass Ausländer keine Listen aufgestellt haben, um die Anliegen oder die Interessen einer spezifischen ausländischen Gemeinschaft zu verteidigen.
In einigen Ländern[1] werden Bürger der Europäischen Union sogar automatisch bei der Anmeldung ihres Wohnsitzes in die Wählerlisten eingetragen. Zudem ist in der Mehrzahl der Länder der Europäischen Union keine Aufenthaltsdauer vonnöten. In Ländern, in denen Wahlpflicht herrscht, wird lediglich ein Anmeldeantrag des Bürgers verlangt, ohne dass er eine Aufenthaltsdauer vorweisen muss.
Die Zulassungsbedingungen zur Wahl erklären zwar die schwache Wahlbeteiligung, doch trägt auch die sprachliche Situation weitgehend zu diesem Problem bei. Es ist zwar legitim, dass das Luxemburgische einen größeren Stellenwert in der politischen Debatte und im politischen Leben einnimmt, doch dürfen die anderen Landessprachen nicht vernachlässigt werden. Unsere Dreisprachigkeit ist keine Schwäche, sondern, ganz im Gegenteil, eine Stärke, besonders für den sozialen Zusammenhalt, auf den wir alle stolz sind. Wenn wir, was man oft hört, „bleiben wollen, was wir sind“, sollten wir uns daran erinnern, dass die Mehrsprachigkeit Luxemburgs und seiner Einwohner ein Wert ist, der zur Geschichte des Landes gehört und den es für die kommenden Generationen zu wahren und weiterzuentwickeln gilt.
Es ist für den sozialen Zusammenhalt wesentlich, dass möglichst viele Einwohner wählen dürfen, sonst wird das demokratische Defizit derart groß, dass wir nicht mehr von einer repräsentativen Demokratie reden können.
Damit sich mehr Einwohner in die Wählerlisten eintragen, sollte:
- die Residenzklausel abgeschafft werden, wie es bereits der Fall für die Europawahlen ist;
- und sollte weitestgehend die Eintragung in die Wählerlisten vereinfacht werden.
Wir begrüßen die Initiative der Regierung, das Wahlgesetz zu ändern, damit Ausländer sich elektronisch in die Listen eintragen können. Es ist hingegen bedauerlich, dass diese Verfügung nicht schon für die Wahlen 2017 gilt.
Einige konkrete Vorschläge
Wir sind uns bewusst, dass die Zuständigkeiten und Aufgaben der Gemeinden klar gesetzlich geregelt sind. Dennoch überschreiten die Gemeinden häufig ihre verpflichtenden und ausschließlichen Kompetenzen, um optimal auf die Wünsche ihrer Bewohner eingehen zu können. Es steht ihnen also nichts im Wege, um auf die Anliegen aller Bewohner, ob Mann oder Frau, jung oder alt, Luxemburger oder Ausländer, einzugehen.
Wenngleich es Anliegen gibt, die allen Wählern gemein sind, machen bestimmte Themenbereiche ausländischen Mitbürger mehr Sorgen. Bestimmte Aspekte betreffen eher Migranten, da diesen politische Netzwerke fehlen, sie oftmals nicht ihre Rechte und Pflichten kennen, keine Verbindung zum Leben vor Ort haben, die Sprachen des Landes nicht kennen, usw.
Wir schlagen den politischen Parteien und den Gemeinden in Luxemburg Folgendes vor:
- die Schaffung eines kommunalen Integrationsplans, der als Leitfaden für die lokale Integrationspolitik fungieren könnte;
- die Übernahme ihrer Verantwortungen, indem sie Aufnahmestrukturen und Wohnungen für Flüchtlinge schaffen und Maßnahmen zur lokalen Integration dieser Einwohner vorsehen;
- der konsequente Einsatz für den Bau von Wohnungen, insbesondere von Mietwohnungen, sowie eine Politik, die Baulandspekulationen sanktioniert, zum Wohl aller;
- die Berücksichtigung der sprachlichen Besonderheiten der Bevölkerung in den Gemeinden durch geeignete Lösungen, insbesondere auf schulischer Ebene;
- die systematische Verwirklichung von Projekten zur Förderung der Landessprachen, sowohl durch Kursangebote als auch praktische Aktivitäten. Um die Kommunikation mit den Bürgern in einer gemeinsamen Sprache zu erleichtern, sollte unter anderem während öffentlichen Versammlungen Übersetzungen angeboten werden.
- die Unterstützung örtlicher Vereine zur Förderung (zum Beispiel durch eine gezielte Beihilfepolitik) gemeinsamer Initiativen zwischen „luxemburgischen Vereinen“ und Vereinen mit Mitgliedern „mit Migrationshintergrund“;
- die Motivierung der Bürger zur politischen Beteiligung durch positive Diskriminierung („Belohnungssystem“), zum Beispiel für diejenigen, die sich in die Wählerlisten eintragen, ohne dass dabei luxemburgische Bürger diskriminiert werden;
- die systematische Anforderung von Stellungnahmen der Gemeindekommissionen (zum Beispiel beratende Gemeindekommission für Integration (CCCI), Jugendkommission, Kommission für Chancengleichheit) zu gemeindepolitischen Fragen;
- der Einsatz für eine zunehmende Präsenz ausländischer Mitbürger, Jugendlichen und Frauen in den Gemeindekommissionen;
- das Halten von mindestens einer Gemeinderatssitzung pro Jahr zu Fragen der Integration neu hinzugekommener Einwohner;
- die systematische Anforderung von Stellungnahmen der beratenden Gemeindekommission für Integration (CCCI) gemäß der großherzoglichen Verordnung vom11.2011 über die CCCI und gemäß Artikel 1 über deren Aufgaben[2];
- die Organisation von interkulturellen Fortbildungen für das soziale, erziehende und administrative Gemeindepersonal;
- die Einsetzung eines Postens für die lokale Integration in der Gemeinde oder eines Gemeindeverbands zwecks Koordinierung und Förderung von Maßnahmen zur lokalen Integration;
- die Schaffung einer zentralen Integrationsanlaufstelle bei den Bürgerämtern;
- die Ausgabe eines Leitfadens zur Begrüßung in der Gemeinde und mit Informationen über die Gemeinde und der kommunalen Ressourcen für jeden neu eintreffenden Einwohner (ob Ausländer oder Luxemburger);
- die Berücksichtigung der Vielfalt der Einwohner bei der Verbreitung von Informationen im Gemeindeanzeiger.
Was sofort geschehen sollte…
Wir laden alle Gemeinden des Landes dazu ein, ihr Bürgeramt am Samstag, den 1. Juli 2017 im Rahmen des Nationalen Tages zur Eintragung in die Wählerlisten zu öffnen und proaktiv ausländische Mitbürger zur Eintragung in die Gemeindewahllisten zu motivieren.
Die politischen Parteien müssen sich mehr gegenüber Ausländern öffnen und den Nicht-Luxemburgern echte Perspektiven für politische Verantwortung bieten.
[1] Deutschland, Österreich (Burgenland ausgenommen), Dänemark, Estland, Finnland, Ungarn, Lettland, Litauen, Malta, Niederlande, Rumänien, Slowakei, Slowenien und Schweden
[2] Art. 1. Aufgaben
“(…) Die Meinung des Ausschusses wird vom Gemeinderat erbeten zu:
– den Aufnahme- und Integrationsmaßnahmen in der Gemeinde,
– der Sensibilisierung der Ausländern für ihre aktive Beteiligung an den Gemeindewahlen,
– den Verordnungen über die Nutzung von Sport- und Kulturinfrastrukturen der Gemeinde.”
Art. 11 Information
“Die Gemeindeverwaltung teilt nach Abstimmung mit dem Ausschuss den Einwohnern der Gemeinde die Tätigkeiten des Ausschusses durch die am besten geeigneten Mittel mit, zum Beispiel dem Gemeindeblatt oder öffentliche Informationsrunden“.
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