Die Europäische Kommission veröffentlichte am 03. Mai 2017 den aktuellen Wortlaut über die Umsetzung einer europäischen Säule sozialer Rechte. Nach einer einjährigen öffentlichen Beratung in 2016 enthüllte die Kommission ihren Plan zur Förderung der Sozialpolitik in der Europäischen Union, um gegen die hohe Arbeitslosigkeit, die Armut, die Ungleichheiten und das Vorpreschen populistischer Parteien vorzugehen. Die Säule ist in erster Linie für das Euro-Währungsgebiet konzipiert, doch können alle EU-Mitgliedstaaten sich auf freiwilliger Grundlage beteiligen.
Im Rahmen der öffentlichen Beratungen hatten der OGBL und der LCGB gemeinsam mit dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) bereits Vorbehalte gegenüber dem ursprünglich vom Berichterstatter der Kommission unterbreiteten Text angemeldet. Bedauerlicherweise weist der vorgestellte Text nach wie vor Aspekte auf, die die Gewerkschaften nicht zufriedenstellen.
Gute Absichten, aber…
Die europäische Säule sozialer Rechte umfasst 20 zentrale Grundsätze und Rechte, welche in 3 Kategorien eingeordntet sind: Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang, menschenwürdige und faire Arbeitsbedingungen sowie Sozialschutz und soziale Inklusion. Diese Liste soll faire und gut funktionierende Arbeitsmärkte und Sozialsysteme unterstützen. Die Grundsätze umfassen beispielsweise das Recht auf Bildung, angemessene Entlohnung, Mindesteinkommen sowie die Leistungen bei Arbeitslosigkeit.
Der LCGB und der OGBL bedauern, dass die Pläne lediglich unverbindliche Grundsätze darstellen, also Empfehlungen. Die Vorschläge stellen keine verbindlichen Vorgaben für die EU-Mitgliedsländer dar, auch wegen der fehlenden Befugnisse der EU (Subsidiaritätsgrundsatz) zur Verabschiedung von Gesetzen in bestimmten Bereichen der europäischen Säule sozialer Rechte. Brüssel spielt somit lediglich eine unterstützende Rolle für die teilnehmenden Mitgliedsländer.
Die konkrete Umsetzung der Vorschläge überlässt die Kommission den Regierungen, die die Grundsätze entsprechend ihrer nationalen Wirklichkeit festlegen. Dennoch ist bei der europäischen Säule Raum für einen nationalen Sozialdialog vorgesehen. Für jeden der 20 Grundsätze empfiehlt die Kommission die Einbeziehung der Sozialpartner in den Umsetzungsprozess durch gemeinsame Verhandlungen und Beratungen der Regierungen.
Der OGBL und der LCGB bedauern, dass die Säule letzten Endes lediglich eine Liste „guter Absichten“ ist, wobei stets den wirtschaftlichen Interessen gegenüber den Sozialrechten der Bürger Vorrang gegeben wird. Der Anwendungsbereich ist auf die Währungsunion beschränkt, auch wenn andere EU-Mitgliedstaaten freiwillig beitreten können. Dies stellt ein Risiko für die Zunahme sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheiten und des Sozialdumpings in denjenigen Ländern dar, in denen die Empfehlungen nicht in die Tat umgesetzt werden, zumal keine Sanktionsinstrumente im Falle der Missachtung der europäischen Säule sozialer Rechte vorgesehen sind. Die Regierungen können zudem die auf der Liste aufgeführten Grundsätze nach Belieben abändern.
Dies schafft einen zu großen Interpretationsspielraum und öffnet einer potentiellen Schwächung der Bürgerrechte Tür und Tor. So ist im Text beispielsweise häufig die Rede von der Notwendigkeit zur Konvergenz der Sozialsysteme in der Eurozone, doch wird nicht präzisiert, dass es eine Konvergenz nach oben sein soll. Dies birgt das reale Risiko in sich, dass die Staaten sich auf den kleinsten Nenner bei den Sozialrechten basieren, um ihren Sozialschutz abzubauen.
Überdies plant die Kommission die Einführung einer Reihe konkreter Gesetzesnitiativen zur Förderung der europäischen Säule sozialer Rechte und der Sozialpolitik in Europa. Sie betreffen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Information der Arbeitnehmer und die Arbeitszeiten. Der LCGB und der OGBL werden diese Gesetzesvorschläge ausführlich analysieren und ihre Überlegungen dem EGB und der luxemburgischen Regierung unterbreiten, damit gewährleistet ist, dass die Rechte der Arbeitnehmer geschützt sind.
Fazit ist, dass für die Gewerkschaften die europäischen Säule sozialer Rechte unzureichend bleibt, weil sie nicht den wesentlichen Grundsatz verankert, dass die Sozialrechte der Arbeitnehmer nicht mehr wirtschaftlichen Gelüsten geopfert werden. Die Gewerkschaftsorganisationen fordern ebenfalls eine Politik der Anhebung der Löhne und des Mindestlohnes zur Gewährleistung eines angemessenen Lebensstandards und zur Festigung der Sozialrechte der Bürger. Damit die sich aus der Säule herausschälenden Empfehlungen und Gesetze auch effektiv umgesetzt werden, müssen der Sozialdialog und die Rolle der Sozialpartner gestärkt werden, insbesondere durch die Förderung von Kollektivverhandlungen auf nationaler Ebene.
Der Elternurlaub: die europäischen Sozialpartner finden keine Einigung
Parallele zur europäischen Säule sozialer Rechte wurde gestern die Begleitinitiative zur „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ für Eltern und Pflegekräfte vorgestellt. Die betreffende Initiative wird im allgemeinen positiv von den Gewerkschaftsorganisationen aufgenommen, nicht aber vom europäischen Arbeitgeberverband „Business Europe“, der harsche Kritik an der Kommission wegen der vorgeschlagenen Verbesserungen übte. Er argumentiert, dass die Rechte von Eltern der Schaffung von Arbeitsplätzen im Wege stünden…
Der EGB widersetzt sich dieser Kritik von Seiten „BusinessEurope“ und unterstützt die Initiative der Kommission, die in seinen Augen einen Vorteil für die Unternehmen darstellt, da sie mehr Frauen die Möglichkeit bietet, am Arbeitsmarkt teilzunehmen, und den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften dämpft. Dies begünstigt die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und der Wirtschaft und senkt die Arbeitslosenzahlen.
Der Vorschlag der Kommission hätte auch für Luxemburg Konsequenzen. In Luxemburg wurde der Elternurlaub nach einer Konzertierungsrunde mit den Sozialpartnern reformiert. So hat beispielsweise zur Zeit ein Vater Anrecht auf zwei Urlaubstage nach der Geburt seines Kindes. Die Kommission möchte die Zahl der entlohnten Sonderurlaubstage auf 10 Werktage anheben, die ab dem Zeitpunkt der Geburt zu nehmen sind. Die Kommission schlägt ferner vor, dass Eltern ihren Elternurlaub nehmen können, bis ihr Kind das 12. Lebensjahr erreicht hat. In Luxemburg liegt die Obergrenze bei 6 Jahren. Im Vorschlag werden flexible Arbeitsformen (reduzierte Arbeitszeiten, gleitende Arbeitszeiten, Fernarbeit usw.) empfohlen und behandelt.
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